Die Eismeister-Vorschau – das Ende einer Ära und das Ende aller Ausreden beim SCB
Der watson-Eismeister Klaus Zaugg blickt auf die neue National-League-Saison voraus, die am 14. September beginnt. In umgekehrter Reihenfolge seiner Prognose nimmt er alle Klubs der Liga unter die Lupe. Heute der zwölfte von 14 Teilen – der SC Bern.
Das Gesamtunternehmen SC Bern hat die sportliche Krise der letzten drei Jahre weitgehend unbeschadet überstanden. Die Neuausrichtung erfolgt deshalb in geordneten Bahnen. Marc Lüthi hat den SCB 1998 im Alter von 37 Jahren aus einer Nachlassstundung übernommen und zur erfolgreichsten Hockeyfirma der Schweiz gemacht.
Nun zieht er sich mit 60 auf den Posten des Verwaltungsrats-Präsidenten zurück und überlässt das Management Raeto Raffainer (40). Ein erstaunlich ruhiger Übergang in eine neue Ära nach drei stürmischen Jahren. Und wahrhaftig ein Schelm, der nun sagt, mit der neuen Führungsstruktur gebe es einen «Obermanager» (Lüthi) und einen «Untermanager» (Raffainer).
Im Zuge des tiefgreifendsten sportlichen Umbruches seit dem Wiederaufstieg (1986) sind aus den stillen Reserven die Mittel für den Neuaufbau freigemacht worden. Sportchef Andrew Ebbett hatte für Einkäufe im In- und Ausland weitgehend freie Hand und eine gut gefüllte «Transfer-Kriegskasse». Seine Herausforderung war so schwierig wie reizvoll: Wann hat ein Sportchef schon die Chance, ein Team ganz nach seinen Vorstellungen zusammenzustellen? Der neue SCB ist Andrew Ebbetts SCB. Aller Ruhm für ihn. Aber auch alles Risiko.
Im Wissen um die turbulenten letzten drei Jahre neigen wir mit realistischem Optimismus dazu, den SCB höchstens als Team der hinteren Tabellenhälfte zu bezeichnen. Im Wissen um den vergangenen Ruhm sehen wir den SCB hingegen mit optimistischem Realismus schon fast (aber nur fast) als Titelanwärter. Die meisterlichen Leitwölfe (Tristan Scherwey, Ramon Untersander, Simon Moser, Beat Gerber) sind geblieben. Die Versager sind durch Titanen ersetzt worden.
Trainer Johan Lundskog hatte seine erste SCB-Saison im Herbst 2021 mit maximalen Vorschusslorbeeren begonnen und auf der ganzen Linie versagt. Trotzdem wird er von den Verantwortlichen in den allerhöchsten Tönen gelobt, ja stärker besungen als zuvor Doppel-Meistertrainer Kari Jalonen.
Johan Lundskog hat wenig Charisma. Aber sein Fachwissen ist tadellos und ermöglichte es ihm, den Misserfolg seinen Chefs zu (v)erklären. Also hat er eine zweite Chance verdient. Setzt sich der spröde taktische Musterschüler nun durch, darf der Zement fürs Fundament eines Denkmals bestellt werden. Scheitert er, dann war das Festhalten am Schweden ein personeller Fehlentscheid mit den Dimensionen der Anstellung von Florence Schelling als Sportchefin.
Die Rückkehr zu sportlichem Ruhm braucht Zeit. Allerdings nicht Jahre. Sondern höchstens Monate. Das Geschäftsmodell SCB basiert auf der Gunst der zahlenden Kundschaft und die ist drei Jahre lang arg enttäuscht worden.
Eine weitere Krisensaison kann sich der SCB wirtschaftlich nicht mehr leisten. Mit diesem sportlichen Erwartungsdruck müssen Management, Trainer und Spieler beim grossen SCB umgehen können. Der Beginn einer neuen Ära markiert zugleich das Ende aller Ausreden. Ausreden passen sowieso so wenig zur wahren SCB-Kultur wie zu Bayern München.
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Prognose: Platz 3
Die Berner haben auf dem Schweizer Markt mit einer der grössten Transferoffensiven ihrer Geschichte (seit 1931) nachgerüstet (Sven Bärtschi, Marco Lehmann, Romain Loeffel, Joël Vermin, Benjamin Baumgartner, Fabian Ritzmann und Jesse Zgraggen). Sie hatten zudem die Möglichkeit, fünf von sechs Ausländerpositionen neu zu besetzen. Zwar ist der SCB nach wie vor kein Lauf- und Tempoteam, hat aber an Talent, Temperament und Tempo zugelegt und was an Tempo fehlt, kann die Erfahrung der «Graubärte» wettmachen. Zudem wird der Neuanfang mit allerlei Marketing-Tingeltangel inklusive der neuen «Kampffarbe» rot befeuert. Folgt keine klare Steigerung und Versöhnung mit dem Publikum, dann sind Sportchef Andrew Ebbett und Cheftrainer Johan Lundskog nicht mehr im Amt zu halten. Platz 6 ist das Minimum, Platz 3 darf erhofft werden.